Nachdem Draven gegangen war, verliefen ein Paar der Tage wie gehabt ruhig: sie blieb noch bei Ian und ließ sich über den Campus führen. Natürlich immer wachsam und die Augen nach einem Übergriff offen haltend. Aber zumindest was die magischen Überfälle betraf blieb es angenehm ruhig. Hayleys profanes Leben hingegen wurde völlig auf den Kopf gestellt.
Sie bewarb sich mehr oder minder als wissenschaftliche Assistentin. Aber das musste sie nicht wirklich: es war viel mehr eine Pro-Forma-Sache, denn Draven schien ein gutes Wort für sie einzulegen, sodass sie bald 10 Stunden als seine persönliche Assistentin arbeitete und 10 weitere in der hiesigen Bibliothek, vor allem an den Samstagmorgen, wenn ein Paar wahnsinnige Studenten über ihren Büchern und Arbeiten brüteten, da sie wieder in Zeitverzug mit ihren Papern und Essays kamen und noch vor Weihnachten alles fertig stellen und abgeben wollten.
Irgendwie fand Hayley das geschäftige Treiben sehr unterhaltsam. Zudem war der Job in der Bibliothek nicht schwer: Bücher einscannen, kontrollieren, wieder weitergeben, in die Schränke einsortieren. Es war fast wie in der Bibliothek ihres Vaters. Nur größer und weniger magisch. Anders sah es bei Draven aus. Die meiste ihrer Arbeit bestand in den ersten Paar Tag aus sich ausfragen lassen, was sie alles kannte und konnte. Worüber sie bereits Bescheid wusste oder eben nicht. Sie beschnupperten sie, fragten sich aus: Hayley half dem Prof das Chaos in seinem Büro zu beseitigen, dass der Dämon hier veranstaltet hatte. Aber generell half sie ihm ein System in seinem Büro zu etablieren. Die Bücher zu kategorisieren und Alphabet zu sortieren. Die magischen Bücher in Schränken zu verstauen und das Büro weniger nach verrücktem Professor aussehen zu lassen, was sich als nicht so einfach herausstellte, bei dem ganzen Kram, den er so besaß. Gläser, Kristalle, merkwürdige Gegenstände, die eindeutig nach Fetisch aussahen – wenn man nicht wusste, was es war. Na ja, vielleicht war er ja Geologe und Sammler von Kulturobjekten? Jedefalls versuchte sie es so zu verkaufen. An den ersten Paar Stunden und Tagen mit Draven, hoffte sie allerdings, dass sie sich noch immer gut verstecken konnte bzw. dass er noch nicht alle ihrer kleinen Geheimnisse kannte.
Nebenbei bewarb sie sich für ein Stipendium, das Sprachen betraf. Schließlich beherrschte sie bereits Latein und Griechisch. Aber auch das Stipendium war mehr ein peinliches Ausfragen, auf das sie mit Lügen und Halbwahrheiten antworten musste – zumindest etwas weniger als beim Professor. Aber zumindest schlug sie sich bei den Wissensfragen ziemlich gut und meisterte sogar kurze Gespräche in Latein und Altgriechisch. Die fehlenden Zeugnisse stellten sich als kleine Hürde heraus. Und deswegen verließ sie das Kabinett ihrer Befrager mit einem: „Wir lassen Sie wissen, wie unsere Entscheidung ausfallen wird.“
Der nächste Schritt war eine kleine geförderte Wohnung, während sie noch bei Ian geblieben war. Sie brauchte ja nicht viel, ein Zimmer, Toilette und Dusche würden völlig ausreichen. Sie wollte Ian schließlich nicht zur Last werden und vor allem würde sie ihr kleines Geheimnis nicht mehr lange verstecken können. Und sie wollte noch nicht auffliegen – dazu mochte sie Ian dann doch nach der kurzen Zeit zu gern und wollte nicht wissen, wie sich sein Bild von ihr noch weiter verändern würde.
Seit sie an diesem zweiten Abend, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, ja gesagt hatte zum Spazieren gehen, hatte sich dieser abendliche Spaziergang fast schon bei ihnen etabliert – wenn man das nach drei Tagen so behaupten konnte. Und so war es auch an diesem Abend, dass sie nach dem gemeinsamen Abendessen, das einmal mehr aus Fertigfutter bestanden hatte – Lasagne aus dem Tiefkühlfach – eine Runde über den Campus und die umliegende Umgebung spazierten. Hayley erzählte Ian gerade von ihrem Bewerbungsgespräch. „Glaubst du, ich hab da überhaupt eine Chance?“, fragte sie fast schon zaghaft, als sie die Jacke enger um die Schultern zog bei dem kalten Dezemberwind.