Lebenselexier

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LEBENSELEXIER

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Vancouver – Kanada, Sanctuary "The Guardian"
Ascans Räumlichkeiten
02. Januar 2010

Sie trug einen engen, knielangen Rock mit hohen schwarzen Lederstiefeln und einen schwarzen Rollkragenpullover. Die Füße standen gerade und dicht bei einander. Ihr Haar war penibel in einen Koten gesteckt, nicht eine Strähne wagte es daraus heraus zu rutschen. Sie war ordentlich. Auch ihre Ohrringe waren kleine, goldene Kügelchen in ihren Ohren. In ihrer Strumpfhose war keine einzige Laufmasche. Eine Brille saß auf ihrer Nase und ließ sie streng wirken, während sie hoch konzentriert und ernst auf ihre Unterlagen schaute und hier und da eine Notiz setzte in sauberer geschwungener Handschrift. Sie wirkte sehr ruhig, fast ausgeglichen und um einiges erholter. Das Tier in ihr gab Frieden und das Serum hatte seine Wirkung verloren. Hin und wieder wanderte ihre Hand zu ihrem Haar und strich unnötigerweise darüber um sicher zu gehen, dass es nach wie vor sicher verschnürt war. Sei fragte sich wirklich, ob dieser Ascan kommen würde. Und wie sie auf ihn reagieren sollte. Aber in ihren Gedanken hatte sie sich gesagt, dass sie von ihm lernen würde, wenn er käme. Mehr nicht. Träume, die sich der Wolf zusammen träumte, spielten keine Rolle. Sie war wieder sie selbst.

Jeromy sah Ascan die Tür aufstoßen und dann verschwinden. Er verschwand einfach. Erstaunt blickte sie die Tür an, die nun offen stand und ihr scheinbar den Blick auf einen Spiegel gewährte. Er war so groß wie die Tür selbst und zeigte ihr den Raum, in dem sie sich befand spiegelverkehrt. Aber Ascan war darin verschwunden, wunderte sie sich. Sie tat wenige Schritte darauf zu, ihr Hand streckte sich danach aus und die Fingerspitzen berührten leicht die Oberfläche. Wellen breiteten sich von dem Berührungspunkt aus und zog weite Kreise, bis sie am Türrahmen verebbten. Ihre Finger fühlten sich nicht nass an. Es war viel mehr wie eine flüssige, trockene Membran aus Luft und Energie. Ihre Finger versanken darin und fasziniert betrachtete Jeromy wie diese verwanden. Sicherlich sah Ascan gerade ihre Fingerspitzen irgendwo auf der anderen Seite des Films.

Verdammt, wo auch immer sie sich nun hin begab, es war sein Reich und das hieß, dass sie ihm vertrauen musste, ob sie wollte oder nicht. Sie fasste sich und hielt unwillkürlich, als würde sie gleich durch Wasser hindurch tauchen, die Luft an. Ein Schritt und sie war auf der anderen Seite angelangt in einem Raum, der Ascans vorherigem Labor glich – nein ähnelte. Hier fanden sich zahlreiche Gerätschaften, die sie fast Henry zu geschrieben hätte, weil sie so hochmodern wirkten.
Jeromy trat an Ascan vorbei und blickte sich genauer um. Der Raum faszinierte sie bereits jetzt, er war voll mit Allerlei Dingen und Büchern. Büchern, die sehr alt wirkten. Im Vorbeigehen legte sie ihre Mappe auf einem der Tische ab und trat zu den Bücherregalen. So gut wie die Hälfte der Zeichen konnte sie nicht entziffern, nicht lesen. Fremde Sprachen. Doch ihre Finger streckten sich- ohne vorher den Besitzer um Erlaubnis gebeten zu haben - danach aus und strichen sanft über die verblassenden, goldenen Lettern auf einem braunen, ledernen Einband.

Ein Gefühl beschlich sie. Es war sonderbar. Wirklich sonderbar. Sie fühlte sich von der Außenwelt abgeschottet, als würde nur dieser eine Raum existieren, aber nicht wirklich eingeschlossen. Sie konnte so gut wie überall Energie fühlen. Energie, die nicht von den Geräten oder Wänden ausging, sondern diese durchdrang. Sie fühlte keine Gefahr, kein Gut und keine Böse und sogar der Wolf in ihrem Inneren war sonderbar still und ruhig, fühlte, dass es für ihn von hier kein Entkommen gab. Kein Entkommen ohne Ascan. Es war beinahe so, als hätte die Welt aufgehört zu existieren oder sie existierte nicht mehr in der Welt. Und dennoch war da Ascans mächtige Präsenz, die sie deutlich im Raum spürte. Sie hörte keine Geräusche der Außenwelt. Ihre Finger ließen von dem Buch ab und sie wand sich Ascan zu, als ihr bewusst wurde, dass sie nicht gerade professionell war.
Sogleich trat Jeromy wieder zu der Mappe, die sie abgelegt hatte und schaute neugierig zu Ascan. Die Neugierde stand ihr zu deutlich ins Gesicht geschrieben, ihre Augen funkelten voller Wissbegierde und ihr Lächeln wurde zu einem frechen Grinsen. Sie wusste, dass sie es wissen wollte und ihre Neugierde nicht wirklich verbergen konnte und sicherlich wusste es Ascan auch, dazu musste er noch nicht einmal in ihren Gedanken Lesen.

„Ascan, wo sind wir?“, fragte sie mit einem unschuldigen Ton, der ihre Faszination für diesen Ort nicht verhehlen konnte. Sie schaute ihn fragend an, wie ein Kind am Weihnachtsabend kurz vor der Bescherung. Mittlerweile war sie einige Schritte näher getreten und nur noch wenige trennten sie von ihm.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er schließlich eine Hand durch das Portal gleiten sah. Fast zögerlich schien sie nach etwas auf der anderen Seite zu suchen, bis auch der Rest von Jeromy nachfolgte. Sie glitt hindurch und keine 10 Sekunden danach löste sich das Portal bereits auf. Eine Tatsache, die sie jedoch nicht wirklich zu verunsichern schien. Also vertraute sie ihm wohl, oder hatte zumindest eingesehen, dass ihre einzige Chance mit ihm zusammen zu arbeiten unweigerlich zur Folge hatte, dass sie eben dies tat. Ihre Neugier jedoch schien sich von einem auf den nächsten Moment um ein Vielfaches gesteigert zu haben. Sogleich landete ihre Mappe nahezu unbeeindruckt auf einem Regal und verschwand somit auch erst mal aus ihrem Interesse. Ihre Augen und allgemein ihr Verhalten beschrieb - obwohl sie sich mit dem Rücken zu ihm bewegte - nur zu deutlich die Neugier, die ihr wohl nur all zu gut von der Stirn abzulesen gewesen wäre. Ascan lächelte in sich hinein, sie erinnerte ihn zu einem kleinen Teil an sich selbst, doch das änderte sich bereits, als sie sich umdrehte. Ihr Blick fixierte ihn und sie stellte ihre Frage. Für den Bruchteil einer Sekunde - wahrlich nur für einen Bruchteil und dennoch lang genug um sich in seinen Gedanken festzusetzen - erinnerte sie ihn... nein, erinnern war das falsche Wort... Er vermeinte regelrecht Selenya und nicht Jeromy vor sich zu haben. Ein kurzer Schmerz durchrang seine Brust, der jedoch von ihrer Frage wieder abgelenkt wurde. Somit spiegelte sich das in seinem Bewusstsein Geschehene kaum merklich in seinen Zügen wider.

Die Antwort, die folgte, war kurz und bündig. Ihm war klar, dass sie Einiges wissen wollen würde, und obwohl er Pläne hatte, die er in nächster Zeit vollbringen wollte, so wusste er doch auch, dass sie ihm hier nicht davon lief.
"Wir sind im Limbus..."