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BeitragThema: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty28.09.11 21:05

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Grand Marais - Minnesota
Fabrikgebäude
29. September 2009


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Alyssa Raven
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty29.09.11 17:36

Schmerz. Schmerz war das erste, das sie fühlte. Ein Brennen in all ihren Gliedern. Eine Anspannung. Alles fühlte sich fremd an. Sogar ihr Körper. Es war so, als müsse sie sich erst erinnern, wie er funktionierte. Sie streckte sich noch mit geschlossenen Augen und stellte fest, dass es kühl war. Die Luft war feucht und der Grund kalt. Sie regte sich und nach und nach kehrte Gefühl in ihren Körper zurück, verdrängte den Schmerz. Dann war da ein Gewicht, das sie auf ihrer Brust und in ihrem Schoß fühlte und zudem etwas, das ihre Gelenke umklammerte, das rasselte wenn sie sich bewegte. Sie öffnete endlich die Augen und alles erschien ihr grell für den Moment. Grau. Eine graue Decke über ihr. Ein altes Flachdach. Und Fenster an den Seiten. Wo war sie? Sie setzte sich und zuckte zusammen.
Rot. Blut. Es war Blut. Überall. Unmengen davon. Ihr Blick schweifte weiter. Reglose Körper. Alle mit Blut verschmiert. Tot. Am Boden. Ihr Magen drehte sich um und sie hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen. Würgte. Doch zwang sie sich dann zum atmen. Wo kam das alles her? Blanke Angst erfasste sie. Was für ein Monster konnte das getan haben? Sie musste hier weg. Wollte aufstehen. Aber sie konnte nicht. Blickte an sich herab. In ihrem Kleid klaffte ein großes Loch, überall war Blut. Ihr Blut? Und jemand lag in ihrem Schoß. Ein Junge. Seine Haut war warm, das konnte sie durch den Stoff fühlen. Sie schaute ihn an. Er sah friedlich aus. Auch er war mit Blut verschmiert und sein Gesicht trug eine rote Spur. Seine Kleidung war zerfetzt, besonders am Rücken. Sie hob den Arm und es klirrte. Eine Art silberne Handschellen waren eng um ihre geröteten Gelenke angebracht, diese setzten sich an Ketten fort, die in den Betonboden eingelassen waren. Sie zog dran und es rasselte erneut. Die Dinger saßen fest. Aber sie musste hier weg. Was, wenn dieses Etwas, was dieses Massaker angerichtet hatte, noch immer hier war. Dann mussten sie schleunigst verschwinden. Sie musste hier weg. Nur wie? Sie konnte ihn nicht zurück lassen! Wieder kehrte die Panik zurück. Ihr Herz hämmerte laut, ihr Atmen ging schnell. Ihr Verstand überschlug sich. Sie wusste nicht wo sie war. Was sie hier zu suchen hatte? Wieso sie und er überlebt hatten? Wer der Junge war? Wieso er bei ihr lag? Sie kannte diese Zeichen und Kreise, die überall zu sehen waren. Das waren Bannkreise, die gegen Dämonen angewendet wurden, das hatte ihr... jemand beigebracht... Ein Dämon... das mochte es sein? Doch wo war er nun?
Sie wollte nicht hier, nicht so enden. Aber wie sollte sie hier weg kommen. Ohne Schlüssel. Ohne Hilfe. Sie konnte kaum klar denken. All das Blut. Der Geruch.
Am Besten gar nicht daran denken. Der Junge, der war am Leben. Vielleicht konnte er helfen. Sie zwang sich zur Ruhe, versuchte langsamer zu atmen, bevor alles vor ihren Augen schwarz werden würde. Vorsichtig bettete sie seinen Kopf besser in ihrem Schoß, so dass sie ihn betrachten konnte.
Was wenn er das getan hatte? Aber... das konnte unmöglich sein. Sie betrachtete sein schönes Gesicht. Die Narbe musste wohl frisch sein. Ihr Zeigefinger strich zärtlich über den roten Strich. Ob es wohl schmerzte?
„Xypní̱ste!“, murmelte sie leise, in der Hoffnung, dass er sie hören würde, denn er schien nicht verletzt zu sein. Ein Paar mal strich sie über die Narbe. Wach auf! Bitte! Bitte!! Sie war verwirrt und allein.
„Xypní̱ste, agóri!“ Ihre kühle Hand legte sich auf seine Wange. Er konnte einfach nicht gefährlich sein, dachte sie sich. Oder hoffte es.
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Seymor
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty01.10.11 6:41

Nichts war mehr gewesen. Auch die Schmerzen waren schließlich vergangen und sogar die Erinnerung daran, dass er versagt hatte. Dass Alyssa gestorben war. Alles war still gewesen. Trotz des Krieges, in den sie beide verwickelt gewesen waren, war es das erste Mal in seinem Leben, dass Seymor dem Tod so nahe war. Er war umgeben von Toten. Er hatte seinen Kopf in den Schoß Alyssas gelegt, die er nicht hatte retten können und die nun auch tot war und er hatte gehört wie der Schuss gefallen war, der auf ihn gerichtet gewesen war. Somit war wohl auch er gestorben und nun tot umgeben von Toten. Doch es war nicht so schlimm gewesen, wie er gedacht hatte. Es war alles so schnell gegangen. Das Schwarz hatte ihn so schnell ummantelt, dass ihm nicht einmal mehr genügend Zeit geblieben war den Schmerz des Verlustes in seinem vollen Ausmaß zu realisieren. Es war ein Geschenk gewesen. Eine Gnade, dass alles so schnell gegangen war, doch jetzt begann das Schwarz zurück zu weichen und er verstand es nicht. Das Schwarz wich und ließ anderes zurückkehren. Er fühlte Schmerzen. Schmerzen in seinem Gesicht und auf seinem Rücken, auch wenn diese wohl mehr eine Erinnerung denn wirklicher Schmerz waren. Er fühlte wie die Haut in seinem Gesicht gespannt war, wohl von eingetrocknetem Blut. Er fühlte etwas Warmes, das über die Stelle in seinem Gesicht strich, die schmerzte. Ein Wort. Seine Bedeutung - ihm vollkommen unbekannt und dennoch durchflutete ihn Wärme. Noch einmal. Er vernahm die Stimme; Schmerz und Trauer drängte sich ihm auf. Er hatte versagt, er hatte Alyssa für immer verloren. Tränen rannen über sein Gesicht und erfragte sich welch grausames Spiel das war, das ihm die Gefühllosigkeit der Schwärze genommen hatte und ihm das, was er verloren hatte, nur noch deutlicher vor Augen hielt, die immer noch geschlossen waren. Schmerz in seinen Gelenken, als er sich regte.

Er hatte wohl viel zu lange in einer ungünstigen Pose gelegen, aber wie war es möglich, dass er noch lebte? Seine Wunden waren ohnehin ausreichend gewesen um ihn zu töten, doch er hätte es aufgrund seiner Konstitution als Gestaltwandler und der guten Regenerationskraft seines Körpers wohl schaffen können. Aber er hatte den Jungen gesehen. Hatte gesehen wie er auf ihn gezielt hatte und hatte gesehen wie er abgedrückt hatte. Er hatte den Schuss gehört und es war schwarz geworden, also weshalb lebte er noch... Oder war es etwa tatsächlich der Himmel oder die Hölle wo er nun war. Weshalb schmerzte ihn dann aber sein ganzer Körper? Immer noch fühlte er wie zart etwas über seine Wange strich, vom Kinn bis knapp unter sein linkes Auge.

Er begann sich zu regen. Seine Gelenke schmerzten als er sie wieder bewegte und sein rechter Ellbogen knackte, als er ihn zu sich zog. Langsam öffnete er die Augen, die sich nur schwer öffnen ließen und verklebt waren. Einige Male blinzelte er, bis er endlich etwas sehen konnte. Dann fühlte er wie die Hand, die über sein Gesicht gestreichelt hatte, zurückgezogen wurde und Seymor rappelte sich auf. Es dauerte, bis er sich an das Halblicht des Raumes, das nun viel zu hell für ihn wirkte, gewöhnt hatte, bevor er tatsächlich etwas sehen konnte.

Sein Mund öffnete sich als wollte er etwas sagen. Seine Augen weiteten sich, als er in graue Augen blickte. Seine Schmerzen waren vergessen und all die Toten rund um sie beide waren vergessen. Er kniete einfach nur da, unfähig etwas zu sagen. Unfähig zu verstehen, was das hier sollte. Er konnte keine Narbe erkennen. Keine Wunde. Sie schien keine Schmerzen zu haben und dennoch war nur zu deutlich die Stelle zu erkennen, wo das Szepter eingedrungen war und den Stoff des Kleides in Fetzen gerissen hatte.

"Wie hast du?" Dann kamen Tränen in seine Augen und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Seymor wirkte noch um einige Jahre jünger, als er ohnehin war.
"Wie hast du das überlebt?" Dann war er bei ihr und schlang seine Arme um sie. Vergrub sein Gesicht in ihrem Haar.
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Alyssa Raven
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty01.10.11 11:43

Und dann bewegte er sich, seine Augenlider flatterten und sie ließ von ihm ab, den Jungen anstarrend. Langsam kam er zu sich und widerwillig wie es ihr schien. Dann setzte er sich auf und schien sie dennoch nicht wirklich zu sehen. Und als er sich aufsetzte, stellte sie fest, dass er etwas größer war als sie und seine Kleidung war zerfetzt. Er schaute sie entgeistert an und in ihrem Blick war nur Verwirrung. Der Momente dauerte an und betrachtete etwas. Als sie sich seines Blickes bewusst wurde, wanderten ihre Hände zu der zerfetzten Stelle ihres Kleides und zogen es etwas zusammen, so gut es ging. Der Stoff war verhärtet von dem eingetrockneten Blut und fühlte sich wirklich ekelhaft an.

„Kalá, eíste epitélous xypní̱sei!“, meinte sie leise in seine goldenen Augen schauend. Gold. Warm. Erstaunlich. Ungewöhnlich. Wie... wie Bernstein. Dann sprach er sie an, aber sie verstand nicht, was er meinte und schüttelte nur unverständlich den Kopf. In ihren Augen und in ihrem blassen Gesicht standen deutlich Angst, fast schon Panik, und pure Verwirrung. Sie sah die Tränen in seinem Gesicht und verstand nicht. Vermutlich hatte auch er Angst. Er wirkte so jung und sie fragte sich wie alt er wohl sein mochte... wie alt sie selbst war... Dann wiederholte er seine Frage. Seine Stimme klang so fremd in der Stille. Sie runzelte die Stirn, die Hände enger gegen den zerfetzten Stoff drückend. Sie überlegte, was er meinen könnte.

„ti ennoeíte ?“, fragte sie ihn verunsichert. Doch da umfassten sie seine Arme und drückten sie gegen ihn. Sein Kinn war auf ihrer Schulter und sie konnte seinen Atem in ihrem Haar fühlen. Sie erstarrte wie versteinert und ließ – völlig überrumpelt – alles geschehen. Er schien sie zu kennen. Sehr zaghaft befreite sie ihre Arme und legte sie um ihn, einfach aus einem menschlichen Reflex heraus um ihn zu trösten, obgleich sie doch selbst so verwirrt war. Sein Körper war warm und sie bettet ihren Kopf leicht auf seiner Schulter. Die Nähe vertreib dieses Gefühl des Verlorenseins ein wenig und ließ ihn eine Zeit lang gewähren, während sie nachdachte. Er hatte sie angesprochen, aber in einer anderen Sprach als sie und dennoch hatte sie ihn verstanden. Sie kannte diese Sprache. Sie musste nur die Worte in ihrem Kopf finden. Aber sie kannte die Bedeutungen und die Worte dazu. Vorsichtig löste sie sich von ihm, entzog sich ihm und die Ketten klirrten erneut. Da waren auf einmal so viele Fragen in ihrem Kopf.

„Wo... Wo sind... wir?“, fragte sie wieder, als könne sie ihrer Stimme nicht trauen, die noch immer schwach klang und in der ihre Angst mitschwang. „Was ist passiert?“ Mit den Fragen kehrten die Worte zurück und diese Sprach. Sie schaute den Jungen an und hob wieder die Hand an sein Gesicht, während sie mit ihrem Daumen die Tränen von seiner Wange strich. Sie verstand einfach nichts mehr. Sie fühlte sich verloren und hatte Angst und wollte von hier weg und zugleich war da Sorge um ihn und... vielleicht Zuneigung... und alles zugleich... und Angst... Sie ließ ihre Hand sinken und schüttelte den Kopf und ihre Hände strichen über ihr Gesicht, bleiben an den Schläfen hängen und vergruben sich in ihre rotes Haar. Tränen traten in ihre Augen. Wieso fühlte sie sich so hilflos... und die Ketten. Sie zog wieder daran, konnte sie aber nicht los werden.
„Was ist hier los?“, murmelte sie abwesend zu sich selbst. Und zugleich aber kehrte Wut zurück und Panik, als sie wieder an den Ketten zerrte... „...hier weg...“
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Seymor
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty03.10.11 16:42

Seymors Gedanken rasten und dennoch wollten sie keinen Sinn ergeben. Er fühlte nur wie auch Alyssa vorsichtig ihre Arme um ihn legte. Er hörte sie wieder Worte reden. Worte in einer Sprache, die er nicht verstand. Noch nicht einmal kannte. Er hörte wie die Ketten rasselten, als sie ihre Arme um ihn legte und ihm fiel ein, dass sie wohl immer noch angekettet war. Dann ließ sie von ihm ab. Entzog sich ihm förmlich, doch er wollte noch nicht. Hatte Angst sie los zu lassen. Fürchtete sich davor, dass es sich alles nur als Wahnvorstellung oder nur als Traum herausstellen könnte und das wollte er nicht. Doch er konnte ihr Unbehagen wahrnehmen. Er wusste nicht, was es war, doch etwas irritierte ihn an ihr. Sie roch anders, zumindest ein wenig. Irgendwie jünger, doch das war vermutlich das falsche Wort für das, was er empfand. Wieder rasselten die Ketten, als sie ihre Hände erneut sinken ließ und dann sah sie ihm in die Augen und ihre Worte ließen seinen Magen sich zusammenkrampfen.

Ihre Worte, ihre Fragen er konnte es förmlich in ihren Augen ließen: sie wusste nicht wer er war. Noch bevor sie fragte, was hier los war, sah er ihre Verwirrung, sah ihre Angst und er sah ihr Nicht-Erkennen. Seine Stimme versagte ihm für einen Moment. Was wenn sie sich nicht mehr an ihn erinnern würde? Was wenn sie, sobald sie fliehen konnte, ihm den Rücken kehren würde, weil sie Angst vor ihm hatte oder zumindest weil sie vergessen hatte, wer er war. Vergessen, was sie beide waren – vor dem hier.
Konnte das Schicksal tatsächlich so grausam sein, dass es sie beide hatte diesen Wahnsinn überleben lassen und Alyssa sich nicht mehr an ihn würde erinnern können. Obwohl sie es überlebt hatten, sollte er sie dennoch verlieren? Erneut liefen ihm Tränen über die Wangen, diesmal der aufkeimenden Verzweiflung wegen. Dann spürte er ihren Daumen, der sie wegwischte. Ein Funken Hoffnung keimte in seinem Herzen erneut auf. Vielleicht würde sie sich ja doch erinnern. Vielleicht würde es Zeit brauchen, aber vielleicht würde sie sich erinnern! Er legte sanft seine Wange gegen ihre Hand wie er es oft als Kater tat, während sie schlief oder wenn sie las und er ihre Aufmerksamkeit wollte. Dann erhob er sich. Ging zu der Leiche des Alten, der ein Arm fehlte. Seymor würgte leicht bei dem Gedanken daran, dass er das getan hatte. Wieso hatten sie sie angreifen müssen? Wieso hatte man ihm nun erneut den Menschen, den er liebte, nehmen wollen? War er verflucht? Seit seiner Kindheit hatte man ihm nach und nach immer wieder die Menschen genommen, die ihm am Herzen gelegen hatten. Als erstes seien Eltern. Dann seine Ziehmutter. Danach seinen Ziehvater. Und nun auch noch Alyssa? Zumindest hatte man es versucht und wenn sie sich nicht erinnerte womöglich gänzlich geschafft.

Wie er richtig vermutet hatte, war der Schlüssel in seiner Obhut und er zog die Kette, an der er befestigt war, über den Kopf des Alten. Versuchte nicht in das Gesicht zu sehen. Seine Stimme bebte immer noch und deshalb wagte er nichts zu sagen, selbst als er zu Alyssa zurückging. Sein Magen krampfte sich zusammen und er versuchte ihrem Blick auszuweichen. Wollte nicht in ihre Augen sehen und erkennen, dass sie nicht mehr wusste wer er war. Er sperrte die Ketten auf. Wagte immer noch nicht zu sprechen aus Angst seine Beherrschung könnte ihm verloren gehen. Dann hielt er ihr die Hand entgegen um ihr beim Aufstehen zu helfen. Sah ihr in die Augen, suchte ob sie ihn erkannte und als er es nicht fand, sammelten sich erneut fast Tränen in seinen Augen.
"Du weißt nicht wer ich bin, oder?"
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty03.10.11 19:03

Kurz blickte sie auf, als seine Schritte sich entfernten und er sich an einer Leiche zu schaffen machte. Sie musste erneut würgen und hustete, versuchte den Reflex jedoch zu unterdrücken und machte sich stattdessen weiter an den Ketten zu schaffen, bis sie seine Hände spürte. Sie zuckte erneut bei der Berührung zusammen, besonders als sich das viele Rot in ihr Blickfeld schob. Seine Hände waren bis zu den Ellenbogen mit Blut verschmiert. Nein, eigentlich getränkt. Sie folgte den Armen zu seinem Gesicht, doch er erwiderte ihren Blick nicht. Sie ließ sich aber bereitwillig helfen, zuerst von den Ketten an um ihre Handgelenke, wo sie die deutlichen, rot-blauen Abdrücke rieb, und dann die Fußgelenke. Dann, als sie endlich frei war, hielt er ihr die Hand entgegen und blickte sie endlich an. Seine Augen schimmerten feucht. Noch immer ängstlich und zögerlich legte sie ihre Hand in die seine. Sie wollte aufstehen, doch ihre Knie waren so weich, dass sie einfach nachgaben und sie kurz wieder in ihre Ausgangsposition zurück sackte. Erst bei dem zweiten Versuch gehorchten ihr ihre Muskeln, auch wenn sie noch etwas unsicher auf den Beinen war und sich in ihrem Kopf alles drehte. Es war so, als hätte sie eine sehr lange Zeit da gelegen ohne auch nur einen Muskel zu rühren. Kaum dass sie stand, wich sie wieder einen Schritt von ihm zurück und betrachtete ihn. Suchte in ihrem Kopf. Aber da war nichts außer leere. Dann schüttelte sie den Kopf.
Sie wusste, dass sie wissen sollte, wer er war. Sah die Trauer. Und ein Gefühl sagte ihr, dass sie ihm vertrauen konnte. Doch zugleich schaltete sich ihr Verstand ein und sagte, dass er ein völlig Fremder war. Seine Trauer, seine Tränen. Um sie? Sie wollte ihm keine Schmerzen und keine Trauer bereiten. Ein schuldbewusster Ausdruck trat in ihr Gesicht, als sie wieder kaum merklich heran trat. Seine Tränen lenkten sie von ihrer Angst und ihrer eigene Trauer kurz ab.

„Ich sollte es wissen. Aber ich kann mich nicht erinnern.“, sie schüttelte abwesend den Kopf, als würde sie nachdenken. „Nicht an dich und noch nicht mal an meinen Namen oder wer ich bin. Oder was hier geschehen ist.“ Sie blickte sich erneut um wie zur Untermauerung ihrer Aussage und zugleich kam die Panik zurück, als sie wieder das viele Blut sah. Sie trat noch näher an Seymor heran und schob ihre Hand in seine, wie es ein Kind tat, wenn es Nähe suchte – völlig verunsichert. Sie versuchte das Blut an seinen Händen nicht zu beachten, als sie ihre Finger um seine schloss. Sie wollte ihm vertrauen, denn sie hatte niemanden außer ihm.
„Ich... ich möchte... kannst du mich von hier wegbringen?“, sie sah ihm hoffnungsvoll in seine goldenen Augen, die sie wieder Wärme spüren ließen. „Ich weiß nicht wohin ich gehen soll...“ Damit begab sie sich vollständig in seine Hände in der Hoffnung, dass sich das Gefühl ihm vertrauen zu können bewahrheitete.
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty04.10.11 16:44

Traurigkeit kehrte in seien Augen zurück, als ihre Worte bestätigten was er bereits in ihrem Blick gelesen hatte. Doch es war noch viel schlimmer, als er gedacht hatte, denn sie wusste noch nicht mal wer sie selber war. Vielleicht auch nicht was sie war. Aber wie konnte das sein? Hatte sie einen Schlag gegen den Kopf bekommen, den er nicht gesehen hatte und der nun ihr Gedächtnis ausgelöscht hatte? Wieder sah Seymor sie an. Dann fühlte er wie sich ihre Hand vorsichtig in die seine legte und hörte ihre immer noch etwas zittrige Stimme, die ihn bat sie von hier weg zu bringen. Er nickte und lächelte nun leicht. Zumindest schien sie es nicht eilig zu haben von ihm weg zu kommen.
"Ich heiße Seymor und dein Name ist Alyssa und..." Er wollte noch weitersprechen, doch er wagte es nicht. Er wagte nicht die weiteren Worte zu wählen, aus Angst sie könnte davor Angst bekommen. Angst davor es vergessen zu haben oder Angst davor, dass er ihr etwas Falsches erzählte und noch viel mehr hatte er Angst, dass sie diese Gefühle, die sie füreinander gehegt hatten nicht erneut fühlen würde. So zog er sie sanft mit sich her aus dem Gebäude heraus. Vorbei an den umgestürzten Kisten, durch die nur halb geöffnete Tür des Vordereingang hinaus ins Freie. Weg von den Leichen. Weg von dem Blut und weg von dem Ort, der sie beide fast das Leben gekostet hatte.

Draußen angekommen, hörte Seymor wieder das Plätschern des Baches, an dem er bei seinem Weg hier her vorbeigekommen war. Sie sollten sich wohl besser waschen, denn so wie er jetzt aussah, würde der nächste Passant das Irrenhaus anrufen und vermutlich bald ein ganzes Polizeichor hier stehen. Dann drehte er sich noch einmal zu dem Gebäude um. Er überlegte was sie mit dem Gebäude tun sollten. Niemand würde ihm nachweisen können, dass er etwas damit zu tun hätte und vermutlich auch Alyssa nicht, allerdings wenn es noch mehr gab, die zu diesen Jägern gehörten, dann würden sie vielleicht nur noch mehr nach ihnen jagen, wenn sie wussten dass sie noch lebten und wenn sie das Gebäude verbrennen würden, dann glaubte man vielleicht, dass sie beide mit verbrannt wären. Doch es würde wohl bald die Feuerwehr anrücken und außerdem wusste er nicht wie Alyssa darauf reagieren würde, wenn er es sagte. Es klang wohl sehr verdächtig. Also beließ er den Gedanken vorerst und ging in Richtung des leise rauschenden Baches. Immer wieder suchte er ihren Blick, während sie die wenigen Schritte gingen.
"Dort vorne können wir uns waschen, denn so wie wir jetzt aussehen, sperren sie uns wohl bei der nächsten Gelegenheit in eine Irrenanstalt ein." Seymor versuchte es scherzhaft klingen zu lassen, doch er fand es selbst nicht sonderlich komisch und sein Lächeln war ebenso nur halbherzig, während er jedoch schon das vor Blut triefende und zum Teil zerfetzte T-Shirt auszog. Gefolgt von seiner Hose und seinen Boxershorts und auch dem Rest und schließlich in den kleinen Bach hinabstieg - die Kleider oben zurücklassend. Erst als er bereits im Wasser war, kam ihm der Gedanke wie seltsam es wohl für Alyssa sein musste, die sich nicht an ihn erinnerte. Er sah fast schon schüchtern zu ihr hoch. Nicht dass er sich vor ihr schämte, sie hatte ihn schon sehr oft so gesehen, doch sie erinnerte sich nicht daran und er hoffte sie jetzt nicht verschreckt zu haben, denn er hatte für den Moment völlig vergessen, dass sie es nicht mehr wusste.
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty04.10.11 19:45

Der Druck seiner Finger auf ihren war warm und fühlte sich so an, als würde er es schon aus Gewohnheit tun. Er hatte sie mitgezogen und sei war bereitwillig gefolgt, wollte das hier einfach nur hinter sich lassen. Doch als er kurz verweilte und sich umschaute, blickte auch sie zurück. Was war hier bloß geschehen? Konnten sie einfach so gehen ohne auf Hilfe oder Polizei zu warten. Aber andererseits jede Hilfe kam zu spät und ihnen beiden war mehr geholfen, wenn sie nicht als Verdächtige einer Gefängniszelle landeten. Noch einmal schaute sie sich um, suchte die Umgebung ab, doch kein Zeichen von Gefahr und so ließ sie sich wieder von ihm mitziehen, hörte das Plätschern. Ab und an sah sie seine goldenen Augen, da er sich nach ihr umschaute, sie versuchte zu lächeln, aber der Versuch musste wohl gescheitert sein.
Was würde wohl nun kommen? Wo sollte sie hin? Waren sie nun in Gefahr? Seymor hatte er gesagt. Er hieß Seymor. Ob er wohl Brite war? Und Alyssa... ja mit Alyssa konnte sie leben, war immerhin besser als Sooky oder Mandy. Er zog sie immer weiter mit sich durch die Bäume, in ein kleines Wäldchen. Wo sie wohl überhaupt hier waren? Dann ein Rauschen. Ein Bächlein. Dort konnten sie sich waschen. Wäre wohl klüger. Aber wohin sollten sie gehen. Ob sie wohl was sagen sollte?
Alyssa nickte nur und blieb am Rande stehen, während Seymor bereits hinab stieg und sich seine Kleidung abstreifte. Sie blieb einfach apathisch stehen und schaute seine Silhouette an. Sie sah seinen nackten Rücken und dann war er völlig nackt und stieg ins Wasser. Sie sollte ihn nicht anstarren, besonders nicht wenn er nackt war, rügte sie ihr Gewissen. Aber es schien ihm nichts ausgemacht zu haben bis jetzt. Ihr Blick wanderte an seinem Körper hinauf zu seinen Augen, die sie scheu anblickten. Sie biss sich leicht auf die Unterlippe um ein Grinsen zu verbergen, das zu einem Schmunzeln wurde und senkte die Augen, jedoch nicht ohne ihm noch einen verstohlenen Seitenblick zu zuwerfen. Er sah gut aus, nicht nur ein hübsches Gesicht, sondern auch eine attraktive Statur. In welchem Verhältnis sie zu einander standen?

Damit lief sie einige Schritte den Lauf hinauf zu einer Stelle, wo sie ihn nicht so anstarren konnte. Sie streifte ihre roten Schuhe ab und stieg in den Fluss. Das Wasser war kalt und schmerzte wie kleine Nadelstiche und prickelte. Sie wartete ein Paar Schritte hindurch und beugte sich hinab um sich Gesicht, Arme und Dekoltee zu waschen, wo noch immer Blut war. Sie wunderte sich wieso ihr Kleid ein Stück aufgerissen und mit Blut verschmiert war und dennoch keine Wunde. Das Blut war schnell beseitigt und noch schneller war sie wieder aus dem Wasser heraus und tippelte zurück zu Seymor. Barfuß, ihre Schuhe in Händen. Wenn der Boden auch kalt war und die Zeige und trockenen Blätter ihre Füße pieckten, war das alle mal angenehmer als diese Schuhe im Wald zu tragen. Sie hörte das Plätschern lauter werden und Rascheln von Stoff, sie kam wieder auf Seymor zu mit gesenktem Blick, so dass sie dieses mal nicht linste und von hinten an ihn heran trat. Als sie aus den Augenwinkeln sah, dass er seine Jeans wieder trug, riskierte sie einen Blick. Sein Rücken. Bei seinen Bewegungen zeichneten sich seine Schulterblätter gegen die weiße Haut ab. Sie mochte den Anblick wie sich seine Muskeln unter seiner Haut spannten und entspannten. Leise trat sie näher heran. Diesmal ohne Scheu. Rote Spuren zogen sich über seine Haut. Ganz frische Narben. Sie streckte die Hand aus und ihre kalten Finger strichen ganz zärtlich darüber. Seine Haut brannte unter ihrer Berührung.
„Tut das noch weh?“, fragte sie ganz leise und ihr Finger zogen die Linien weiter nach, ohne dass ihr aufgefallen war, wie dicht sie bei ihm stand.
„Wo sollen wir hingehen?“, hauchte sie. Es war erstaunlich, obgleich sie sich nicht erinnern konnte fühlte sie, wie sie zu ihm hingezogen wurde... wie... Magnetismus... oder... Gravitation.
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty04.10.11 20:54

Auch Alyssa hatte sich wohl gewaschen, wie er feststellte, nachdem sie bereits kurz nachdem sie hinter einer kleinen Biegung des Baches verschwunden war zurückkehrte. Er hatte bereits wieder seine Jeans angezogen, die jedoch - auch wenn er jetzt vom Blut befreit - immer noch voll davon war, so wie auch der Rest seiner Klamotten. Ein ungutes Gefühl erneut diese Sachen anzuziehen. Am liebsten hätte er sie vergraben oder ein Feuer gemacht und sie allesamt verbrannt, doch wenn er nackt durch die Vorstadt lief, wirkte es mit Sicherheit genauso verrückt wie die mit Blut besiedelten Sachen. Als er gerade sein Shirt überziehen wollte, fühlte er wie Alyssas Hand seinen Rücken berührte und ein ungutes schmerzliches Gefühl trotz der Zärtlichkeit ihrer Berührung von der Stelle ausging. Er hatte es schon beim Gehen und vor allem, als er sich zum Wasser gebeugt hatte, gemerkt. Doch auch jetzt flammte leicht der Schmerz und mit ihm die Erinnerung an den Kampf wieder auf. Das Messer hätte ihn töten können. Ein Stück weiter oben oder unten und er wäre vermutlich an der Verletzung gestorben. Dann streifte er das Shirt verkehrt über, sodass das Blut auf der Innenseite war. So hatte er zwar wieder etwas davon auf seinem Körper aber immer noch besser, als wenn er so durch die Straßen marschiert wäre. So wirkte es höchstens etwas seltsam und seine Hose war leicht blutig. Wenn man's genau nah, könnten sie genauso gut ein "Gothic"-Pärchen sein, das zu einem Zombie-Festival unterwegs war oder sowas in der Art; überlegte er sich, auch wenn er daran zweifelte, dass hier im Moment sowas stattfand.

Dann sah er zu Alyssa, die sehr nahe bei ihm stand, was ihm erneut ein angenehmes Gefühl der Wärme gab ebenso wie der Blick, den sie ihm schenkte. Sie wusste vielleicht nicht wer er war, doch sie schien sich immer noch zu ihm hingezogen zu fühlen. Etwas, das Seymor wieder hoffen ließ. "Es geht schon, meine Wunden heilen recht schnell." Dann sah er zum Himmel und zu Alyssas Kleid. "Wir gehen am besten zum Hotel zurück. Ich hole uns dort frische Sachen aus unserem Zimmer und dann suchen wir eine Werkstätte, damit das Auto neue Reifen bekommt und dann hätte ich gesagt, nichts wie weg von hier..." Er schauderte kurz bei dem Gefühl. das das eingetrocknete Blut auf seinem Oberkörper verursachte und schüttelte angewidert den Kopf.
"Um so schneller wir hier weg sind, um so schneller ist das alles, was hier passiert ist, Vergangenheit.
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BeitragThema: Re: Alles auf Anfang   Alles auf Anfang Empty04.10.11 22:45

Alyssa nickte nur zustimmend. Eigentlich aus dem Grund, weil sie nicht wusste, was sie erwidern konnte. Sie konnte eigentlich nichts erwidern. Hotel. Auto. Neue Reifen. Zum Hotel würde er sie führen. Aber das Auto? Sie folgte Seymor wieder völlig in Gedanken versunken. Und der Himmel über ihnen nahm die selbe gewittergraue Farbe an wie ihre verwirrten Augen.
„Was ist mit dem Auto geschehen?“, fragte sie völlig ahnungslos, so dass Seymor ihr erklären musste, dass jemand am Vorabend die Reifen zerstochen hatte und sie sich eigentlich eine Werkstatt hatten suchen wollen um aufzubrechen. Dennoch fehlte ihr der Zusammenhang zwischen den zerstochenen Reifen und den Leichen in der Halle. Wieder kehrten die Bilder zurück. All das Blut. Am besten nicht daran denken.
„Wohin wollten wir eigentlich?“, fragte sie weiter. „Kanada!“, folgte seine schlichte Antwort.
„Was ist denn da?“, fragte sie ihm weiter Löcher in den Bauch, so dass Seymor ihr ein weiteres mal erklären musste, dass es ihre Idee war sich Kanada anzuschauen. Zweifelnd blickte sie ihn an. Aber was hatte sie da bitte gewollt? Irritation. Sie war sie, aber ohne Erinnerungen? Hatte sie da Verwandte? Einen Job? Waren sie Abenteurer? Wieder verfiel Alyssa in Schweigen auf dem Weg zum Hotel und ließ sich von dem jungen Mann führen. Ihre Erinnerung wollte einfach nicht zurückkehren, so sehr sie sich auch bemühte. Auch als sie den Rückweg durch die Stadt antraten, wenn gleich sie die großen Straßen mieden und meist im Schatten der Bäume ihren Weg fortsetzten.

Alyssa sah sich immer wieder um, aber sie erkannte nichts. Höchstens wie sich die Wolken immer weiter türmten. In der Ferne hörte man ein Grollen. Und bald darauf setzte Regen ein, noch bevor sie das Hotel erreicht hatten. Vielleicht war es gar nicht so schlecht und er würde einige weitere Spuren fort waschen. Schließlich bogen sie in eine kleine Straße, in der Mittig ein Hotel zu sehen war. Das musste es sein. Noch bevor Seymor weiter darauf zu gehen konnte umfasste sie seine Hand und hielt ihn zurück, so dass er unweigerlich stehen bleiben musste und sich nach ihr umschaute. Auf dem Parkplatz sah sie einen Truck, einen Van und eine schwarze Impala mit zerstochenen Reifen. Das musste ihr Auto sein.

„Warte...“, sie überlegte kurz. Sie hatte zwar keine Erinnerung, aber dumm war sie noch lange nicht. „Lass uns logisch denken. Mit dem Auto – ich schätze, dass es unseres ist – kommen wir nicht weit. Wir brauchen ein Telephon, einen Abschleppdienst und wer weiß schon, wann ein Mechaniker Zeit dazu findet sich darum zu kümmern, da sind sicherlich noch andere Leute vor uns auf seiner Warteliste. Außerdem könnte und etwas Ruhe und Proviant nicht schaden. Wenn wir überstürzt aufbrechen, lenken wir dann nicht die Aufmerksamkeit auf uns?“ Sie musterte Seymor kurz.
„Gib mir dein Shirt!“, befahl sie ihm. So zerfleddert wie es aussah. Sie wischte schnell die Blutspuren von seiner Brust und wickelte es um seinen Arm, den sie gegen seine Brust drückte, als ob er verletzt wäre und blutete. Dann ging sie in die Knie und schnappte sich eine Hand voll Dreck mit sie ihm eine Schleifspur über das eine Hosenbein zog und dann schief zu Seymor hinauf grinste.
„Wir hatten einen kleinen Unfall im Gelände!“, erklärte sie völlig beifällig. „Du brauchst ohnehin eine neue Hose!“ Den Rest schüttelte sie ab und klopfte es an dem einst hellen Kleid ab. Sich selbst damit voll zu schmieren machte wenig Sinn, da ihre Füße bereits ohnehin voller Matsch waren. Dann schob sie sich unter seinen Arm und legte den ihren um seine Taille, so als wolle sie ihn stützen. „Und jetzt versuch überzeugend zu humpeln!“, grinste sie ihn frech an und man sah ihr an, dass dieses Spiel ihr erstaunlich viel Spaß bereitete.

So schafften sie es über die Straße hin zum Hotel, unbemerkt bis zur Lobby und fast vorbei an dem Mann beim Empfang. Alyssa sah noch wie er ihnen einen entsetzten Blick zu warf.
„Kleiner Unfall!“, behauptete sie und man sah ihr an, dass ihr der Schreck noch tief in den Knochen saß. Sie zog Seymor bereits mit sich zur Treppe und versuchte ihn aus dem Blickfeld des Mannes zu bringen, damit er das verwaschene Blut nicht sehen konnte. Sie hörte wie er nach dem Hörer griff.
„Ich rufe einen Krankenwagen!“, bot er besorgt an.
„Nein!“, hätte Alyssa fast panisch gerufen, konnte sich aber gerade noch beherrschen.
„Nicht nötig, ich kann mich selbst darum kümmern.“ Sie lächelte den Mann müde an, der dann nickte und sie endlich ihren Weg hinauf fortsetzten konnten. Sie ließ sich oben wieder von Seymor zu ihrem Zimmer führen. Erstaunt blieb sie in der Tür stehen. Kein Wiedererkennen. Aber was sie erkannte war das große Doppelbett, das säuberlich gerichtet worden war. Eine Reisetasche und ein Rucksack standen am Boden. Sie starrte das Bett an. Dann... dann waren sie wohl so etwas wie ein Paar?
Nachdem sie Seymor abgelassen hatte, blieb sie eine Moment unschlüssig stehen, bevor sie zum Bett ging und sich die Taschen anschaute.
„Ich lasse dir den Vortritt?“; die deutete auf die Tür, wo sie das Badezimmer vermutete, denn Seymor sah bei Weitem ramponierter aus, als sie sich fühlte.
„Ich kümmere mich so lange um unseren fahrbaren Untersatz?“, schlug sie vor. Damit spähte sie in eine Tasche, erkannte jedoch nur Männersachen und marschierte zu dem Rucksack, dessen Inhalt sie auf dem Bett auskippte und sonderbare Dinge zu Tage förderte: fünf Bücher, einen Langdolch in einer Scheide, ein goldenes Amulett und Bekleidung. Der Inhalt der Bücher konnte vielleicht mehr Aufschluss geben. Sie fischte ein schwarzes Dreieck aus Spitze und musterte es mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Das kann nur mir gehören!“, scherzte mit Gefallen und stieg gleich hinein, so dass es bald unter dem Rock verschwand. Wie kam es eigentlich, dass sie unter dem Kleid keine Unterwäsche trug? Dann schnappte sie sich eine Lederhose und streifte diese über. Bevor sie aber das Kleid auszog, schaute sie Seymor an und deutete ihm sich umzudrehen oder noch besser duschen zu gehen.

Erst als sie die Tür hinter sich hörte, zog sie sich endgültig um und begab sich nach unten. Wo sie dem Lobbyisten noch einmal versicherte, dass alles in Ordnung sei und das Gelände hier sich als sehr tückisch erwiesen hatte, wenn man es nicht kannte. Sie wollte lediglich Verbandszeug und ein Kühlelement haben. Zudem veranlasste sie ihn mit dem einen oder anderen Lächeln und koketten Gehabe – von dem sie noch nicht mal wusste, woher sie es hatte - nach einem Mechaniker zu suchen, der sich auch relativ schnell fand und sich sogar bereit erklärte, das Auto nach „einem Zwischenfall von jugendlichem Vandalismus“ bis zum Abend startklar zu machen. Sie mussten es lediglich abholen und die Visitenkarte und das Versprechen ein Taxi bei dem Wetter zu erhalten, bekam sie gleich mit. Ihre letzte Tat bestand darin noch ein mehr gängiges Dinner zu bestellen.
Sie war müde. Verwirrt. Verloren. Und hungrig. Es fühlte sich an, als hätte sie eine Woche nichts gegessen. Das Verbandszeug und das Kühlelement als Alibi nahm sie mit, der Rest würde folgen. Sie kehrte zurück zu ihrem Zimmer.

Als sie das Zimmer betrat, hörte sie noch immer das Rauschen von Wasser und wunderte sich, was Seymor wohl so lang dort drin machte! Seufzend ließ sie sich aufs Bett fallen und stopfte die Kleidung wieder zurück. Zum Vorschein kam ein Portmonee, das sie aufklappte, darin war ein Ausweis, ein Führerschein, drei Kreditkarten, die auf unterschiedliche Konto liefen, auf den Namen Alyssa Raven und Alyssa Worron. Hm... was wusste sie nun über sich. Sie mochte aufreizende Kleidung, hatte vielleicht ein illegales Bankkonto oder zwei und ein teures Auto. Und Geld... stellte sie fest, als sie Geld in dem Portmonee fand und eine weitere Rolle lose herum fliegen. Sie besaß einen Dolch oder wie auch immer die anachronistische Waffe heißen mochte. Sie zog das Ding aus der Scheide. Die Klinge war poliert und dennoch sah man ihm sein Alter an. Im Knauf waren rote Steine... Rubine eingesetzt und der Griff war aus einer Goldlegierung. Das Ding würde eine Menge einbringen, hatte aber wahrscheinlich einen persönlichen Wert... ob es wohl gestohlen war... Dann der Anhänger. Auch alt. Sie streifte sich ihn über und betrachtete sich damit im Spiegel. Der Stein hatte die Farbe ihrer Haare. Musste also ihr gehören. Dann klopfte es an der Tür.
„Zimmerservice!“ Endlich. Übereilt sprang sie auf und rannte zur Tür. Essen. Essen. Essen. Ein Zimmermädchen rollte einen kleinen Wagen hinein, auf dem mehrere silberne Glocken waren. Alyssa bedankte sich und steckte ihr Trinkgeld zu um sie schnellst möglich aus dem Zimmer zu komplementieren.
Es war zwar unhöflich, aber sie starb nahe zu vor Hunger und konnte es nicht erwarten, bis Seymor wieder da war. Schnell schnappte sie sich einen Teller und häuft Ei und ein frisches Brötchen darauf. Damit begab sie sich wieder zum Bett und machte sich weiter an die Erforschung ihrer Vergangenheit. Das erste Buch schien nicht so alt. Gedichte. Sie las eines davon und verzog das Gesicht, während sie genüsslich auf dem Brötchen rumkaute. Würgs. Und noch traurige Gedichte dazu. Konnte ja niemand brauchen. Ein Sagen-Buch auf Latein und griechisch. Uninteressant. Ein altes anderes Buch, in einer interessanten Schrift... wenn sie so zurück dachte... dann war das die Verschriftlichung der Sprache, mit der sie Seymor angesprochen hatte. Das schien ihr ein okkultes Buch zu sein mit Zaubern... und Ritualen. Schnell klappte sie es zu. Freakshow! Dann klappte sie ein anderes Buch auf... es war leer. Sie blätterte ein Paar Seiten. Nichts. Das Einzige war einer Karte, die hinein geschoben war. AH... vielleicht... sie faltete das Ding vor sich auf dem Bett auf... eine rote Linie markierte eine weite Strecke und sie fand auch schnell den Ort, an dem sie sich befanden. Die Linie zeigte weiter eine Strecke nach Kanada auf. So viel dazu. Sie kamen aus New York. Was hatten sie bitte in New York getrieben. Missmutig legte sie auch das vierte Buch zurück in den Rucksack. Ernüchternd. Sie war ein Freak aus New York. Da waren diese Sachen, die ihr gehörten, aber die ihr fremd war. Die Person, die sie sein sollte, war ihr fremd.
Aber da war das letzte Buch... Enttäuscht zog sie es hervor. Aber was sie fand ließ sie stutzen. Da waren Skizzen von Landschaften und dann von einer Frau. Die Frau schien ihr auf den ersten Blick fremd... bis sie sich erkannte. In verschiedenen Haltungen. Sitzend. Liegend. Stehend. Nur ihr Gesicht. Augen. Ihre Silhouette. Sogar eine Aktzeichnung war dabei und ein buntes, kleines Portrait von ihr in Ölfarben. Aber die Augen waren golden und ihre Augen waren grau. Die Bilder waren wie eingeschweißt in Kunststoff, versiegelt von der Außenwelt. Sie strich über die Seiten. Derjenige, der das gemalt hatte, musste wirklich fasziniert von ihr gewesen sein.
Ein Geräusch ließ sie zusammen zucken. Die Badezimmertür öffnete sich und Seymor kam heraus. Seine Haut war gerötet – wahrscheinlich vom viel zu heißen Wasser oder vom zu langen Schrubben. Ihr Blick huschte verstohlen über seinen Körper und sie lächelte ihn dann süßlich an.
„Tut mir Leid, aber ich hätte sterben können vor Hunger!“, grinste sie ihn entschuldigend an und deutete auf das Essen. Dann fiel ihr ein, dass das ein ganz blöder Scherz gewesen war und sie verzog entschuldigend das Gesicht. Themawechsel. Sie deutet auf das Buch in ihrem Schoß.
„Hast du das gemacht? … Sind das alle unsere Sachen?“, es waren doch reichlich wenig, wenn sie nur auf der Durchreise waren.
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